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Beschreibung

Von Stickeln, vom Läubeln und von der Wimmet

Der Weinbau im Spätmittelalter unterscheidet sich, wie das gut erforschte Beispiel der Gemeinde Berneck im St. Galler Rheintal zeigt, vom heutigen kaum – sieht man von der technologischen Entwicklung ab. Die Rebstöcke wurden am „Rebstecken“ oder „Stickel“ gezogen, das sind Holzpfähle, wie sie auch heute noch in Gebrauch sind. Die Weinberge im steilen Gelände waren mit Trockenmauern terrassiert, weggespültes Erdreich musste im Winter mühsam hochgetragen werden. Dem Erosionsschutz dienten auch Wassergräben, um das Regenwasser gezielt abzuleiten. Vermehrt wurden die Reben in der Regel mit Ablegern: Ein Trieb wurde dazu einfach in die Erde gesteckt und vom Mutterstock getrennt, sobald er nach zwei bis drei Jahren selber Früchte zu tragen begann. Eine andere Methode war das Eingraben von ganzen Rebstöcken, die wieder austrieben. Beide Vermehrungsweisen sind heute wegen der im späten 19. Jahrhundert sich epidemisch ausbreitenden Reblaus nicht mehr möglich. Heutige Reben werden auf dem Wurzelfundament amerikanischer Weinstöcke, der die Reblaus nichts anhaben kann, gepropft. Der Erziehungsschnitt erfolgte im Spätwinter. Die Details sind unbekannt, aber die Bedeutung der Entfernung beziehungsweise des Rückschnitts der einjährigen Triebe dürfte auch im Mittelalter bekannt gewesen sein, zumal es dazu schon damals weinbaukundliche Schriften gab, etwa das Standardwerk zur Gartenkultur, das um 1350 entstandene „Pelzbuch“ des Gottfried von Franken. Über Generationen mündlich weiter gegebenes Erfahrungswissen dürfte aber eine mindestens so wichtige Rolle gespielt haben. Das „Bognen“ (Aufbinden) der Schosse, damals wahrscheinlich mit Weidenbast, das „Erlesen“ der im vollen Saft stehenden Jungtriebe, das „Läubeln“ (Entfernen der Blätter um die reifenden Trauben nach der Blüte) und das Hacken und Jäten von Unkraut rund um die Stöcke waren Arbeiten, wie sie bis heute unverändert zu erledigen sind. Schädlinge und Vögel machten den Reben auch damals zu schaffen. Befallene Stöcke wurden mit Rindermist eingerieben, man versuchte auch, Schädlinge mit Rauch zu vertreiben oder hoffte, durch Einschmieren des Rebmessers mit Bocks- oder Eselsblut, mit Fett oder Knoblauch eine präventive Wirkung zu erzielen. Zugvogelschwärme wurden mit Lärm vertrieben. Ein stetes Problem war der Düngermangel. Im Rheintal wurden die Weinberge mit Mist gedüngt. Das Vieh weidete auf den flachen Matten des Rheinvorlandes oder an den Hängen Richtung Appenzellerland. Wer kein eigenes Vieh besass, musste den Mist teuer dazukaufen. Ausgebracht wurde er, mit Erde vermischt, kurz vor dem Austrieb. Wie oft gedüngt wurde, ist aus dem Rheintal nicht überliefert. In anderen Weinbaugebieten der Zeit war die Düngung streng reglementiert. Mal sollte sie jährlich erfolgen, mal, mutmasslich aus Mangel an ausreichend Mist, im Rhythmus von bis zu zehn Jahren. Auf lange Sicht liess sich damit ein Auslaugen der Böden nicht verhindern. Ende August wurden die Rebberge mit einem Bann belegt. Das Betreten war bis zur „Wimmet“ verboten, um Diebstählen vorzubeugen. Die Weinlese war die arbeitsaufwendigste Periode. Sie musste, ähnlich wie heute, gut organisiert werden, um einen Arbeitsstau auf den Trotten, wo der Wein gepresst wurde, zu verhindern. Meist mussten dazu zusätzliche, oft auswärtige Arbeitskräfte, so genannte Taglöhner, eingestellt werden. Eine dauerhafte Niederlassung in der Gemeinde war diesen saisonal Beschäftigten ausdrücklich untersagt. Die Motive waren dabei weniger fremdenfeindlicher Natur, sondern in der steten Knappheit der wirtschaftlichen Ressourcen begründet.

Quellen

Stefan Sonderegger. Landwirtschaftliche Entwicklung in der spätmittelalterlichen Nordostschweiz. St. Gallen. 1994. S. 310 - 317
Otto Volk. Weinbau und Weinabsatz im späten Mittelalter. Online unter: www.regionalgeschichte.net/bibliothek/texte/aufsaetze/volk-weinbau.html#cLL501 (abgerufen am 2.7.2015)