Die Kulturgerste entstand in der Region des Fruchtbaren Halbmondes im nahen Osten. Gerste (Hordeum vulgare subsp. distichum) ist direkt aus der Wildgerste (Hordeum vulgare subsp. Spontaneum) hervorgegangen. Wildgerste wurde nachweislich bereits um 48 000 vor Christus gesammelt, lange bevor sie um 8’500-8’100 vor Christus in Kultur genommen wurde. Das Verbreitungsgebiet der Wildgerste erstreckt sich von West-China über Afghanistan bis nach Griechenland und Libyen. Die Ähre der Wildgerste ist 2-zeilig. Die Körner sind in zwei Reihen immer schön versetzt links – rechts an der Ährenspindel angeordnet. Links und rechts eines Kornes findet sich jeweils eine sterile, verkümmerte Blüte. Der Schritt von der Wildgerste zur Kulturgerste ist nicht sehr gross. Die Ähre der Wildgerste zerbricht bei der Reife in einzelne Teile, jene der Kulturgerste bleibt ganz, die Kulturgerste bildet grössere Körner aus. Die allererste Kulturgerste war zweizeilig. Aber schon bald gab es Gerstenähren, bei denen auch die seitlichen Blüten fruchtbar waren. Solche Ähren die jeweils 3 Körner pro Lage ausbilden nennt man 6-zeilig. Aus der 6-zeiligen Kulturgerste (Hordeum vulgare subsp. hexastichon) ging, um die Geschichte zu Ende zu erzählen, die 6-zeilige Wildgerste (Hordeum vulgare subsp. Agriocrithon) mit
brüchiger Ährenspindel hervor. Die Kulturgerste schützt das heranwachsende Korn vor Austrocknung, indem sie die beiden Spelzen, die das Korn umschliessen, mit dem Korn verkleben. Die Gerste ist bespelzt. Auch die Wildgerste ist eine Spelzgerste. Schon bald gab es eine neue Form, bei denen die Spelzen nicht mit dem Korn verklebt waren, die freidreschende oder nackte Gerste. Bei der Nacktgerste kann man nach dem Dreschen die Spreu (die Spelzen) leicht von den Körnern trennen. Sowohl die 2- als auch die 6- zeilige Gerste können freidreschend sein.

Die 6-zeilige Form erreichte im 5. Jahrtausend vor Christus die Alpen, lange vor der 2-zeiligen Gerste. Vermutlich hatten die ersten Landwirte bei der Spelzgerste eine Vorliebe für kurze, gedrungene Ährenformen. Einige wenige Landsorten mit solchen Ähren sind erhalten geblieben. Im Laufe der Zeit hat die Bedeutung der 2-zeiligen Formen zugenommen.

Die Gerste ist das Getreide mit der grössten Verbreitung weltweit. In den Alpen findet man sie von den Flusstälern bis in die höchsten Lagen. Sie erträgt Trockenheit und hat eine sehr kurze Vegetationszeit. Die sehr langen kieselhaltigen Grannen können auch dann noch assimilieren und die Körner füllen, wenn die Blätter bereits anfangen einzurollen und die Assimilation eingestellt haben. Die Gerste blüht bereits während des Ährenschiebens, ohne die Blüten öffnen zu müssen. Weil die Befruchtung so früh stattfindet, verkürzt sie ihre Vegetationszeit um zwei bis drei Wochen. So kann sie als Sommergetreide, im Frühling gesät, in den höchsten Lagen, wo die Vegetationszeit am kürzesten ist, angebaut werden. Als Wintergetreide, im Herbst gesät, eignet sie sich nur für den Anbau in den Haupttälern. Sie verträgt keine lang anhaltende Schneedecke.

Die Spelzgerste wurde früher mit Hilfe von Stampfen geschält. Ungeschälte Gerste verwendet man für die Bierproduktion. Die geschälte Gerste verwendet man für Suppen, oder für Brei. Die Gerste eignet sich nicht als Brotgetreide, aber zusammen mit Weizen oder Roggen lassen sich aromatische Mischbrote herstellen. Gerstenmehl eignet sich sehr gut als Einbrenne zum Binden von Saucen und Suppen. Die Nacktgerste, auch Weizgerste oder Reisgerste genannt, muss nicht geschält werden und kann als ganzes Korn oder geschrotet gekocht werden.

Literatur
Miedaner, Thomas (2014): Kulturpflanzen: Botanik — Geschichte — Perspektiven. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag. ISBN: 364255292-2
Schilperoord, Peer (2013) : Kulturpflanzen in der Schweiz – Gerste. Alvaneu Dorf: Verein für alpine Kulturpflanzen. ISBN 978-3-9524176-8-3
Zohary, Daniel; Hopf, Maria; Weiss, Ehud (2012): Domestication of plants in the Old World. The origin and spread of domesticated plants in Southwest Asia, Europe, and the Mediterranean Basin. 4. Aufl. Oxford: Oxford University Press. ISBN: 978-0199549061