Der Kulturroggen (Secale cereale subsp. cereale) ist vermutlich direkt aus dem Wildroggen (Secale cereale subsp. vavilovii) hervorgegangen und bildet mit ihm eine Art. Ob noch eine andere Art, die mehrjährig ist und Ausläufer bildet (Secale strictum, früher S. montanum), auch eine Rolle bei der Entstehung gespielt hat, ist noch nicht klar. Wildroggen wird nur 50-80 cm hoch und kommt vor in der Türkei, Armenien, Aserbeidschan aber auch in Zentral-Asien. Die Ähre des Wildroggens zerbricht zur Reifezeit in einzelnen Teile. Die Körner sind klein und vollkommen von den Spelzen bedeckt.
Als Herkunftsregion des Kulturroggens kommt die Hochebene von Anatolien in Frage. Roggen ist ein Fremdbefruchter und konnte dort, wo auch der Wildroggen zuhause ist, nie sein Potenzial als Kulturpflanze voll ausschöpfen, weil immer wieder etwas vom Wildroggen, oder von den Übergangsformen, unbeabsichtigt eingekreuzt wurde. Die Landwirte auf den Hochebenen von Anatolien und Armenien schätzten trotzdem den Roggen insbesondere in der Kombination mit Weizen. Es war üblich die Felder mit einer Saatmischung von Weizen und Roggen zu bestellen. In schlechten, extrem kalten und trockenen Jahren versagt der Weizen, dann sichert der Roggen das Überleben der Bauern, weil er auch unter solchen Bedingungen noch einen Ertrag abwirft. In den Alpen war es ebenfalls üblich Roggen-Weizenmischungen zu säen. In guten Jahren dominierte der Weizen, in weniger guten Jahren der Roggen.
Unser Roggen ist auf zwei Wegen nach Mittel-Europa gekommen. Der erste führte über die Ukraine und der zweite führte der Mittelmeerküste entlang via Italien nach Frankreich und dann das Rhonetal hinauf. Der Roggen hat lange gebraucht, bis er als Kulturpflanze voll akzeptiert wurde. Während Jahrtausende war er geduldet als Begleiter anderer Getreidearten. Noch in der Bronze- und Eisenzeit hatte Roggen in den Alpen praktisch keine Bedeutung. Das änderte sich erst in der Römerzeit als er in einigen Regionen zu einer häufig angebauten Getreideart wurde.
Der Roggen ist zusammen mit der Gerste das wichtigste Getreide der höchsten Alpentäler. Roggen steht sowohl als Winterroggen, als auch als Sommerroggen, im Anbau. Er fängt bei tieferen Temperaturen an zu wachsen als die anderen Getreidearten und eignet sich so für Grenzregionen mit kurzen Vegetationszeiten. Weiter ist er die einzige Getreideart, die im Spätsommer gesät, die langen, schneereichen Winter im Gebirge problemlos überlebt. Winterroggen hat gegenüber Sommerroggen den Vorteil, dass er sofort nach der Schneeschmelze weiter wachsen und schneller zum Blühen kommt. Roggen wurzelt tief, ist anspruchslos und liefert auch auf ärmeren, sandigen Böden gute Erträge.
Der Roggen fällt auf durch seine langen Halme, die wesentlich zur Kornfüllung beitragen. Roggenstroh wurde verwendet zum Decken von Hausdächern, als Stroh zum Schlafen, für die Füllung von Kummets und wird noch verwendet zum Flechten.
Roggen ist eine freidreschende Getreideart, oft sind die reifen Körner nicht vollständig von den Spelzen bedeckt. Bei feuchter Witterung, kann die Feuchtigkeit so leichter vom Korn aufgenommen werden und die Keimung anregen. Das führt zum Auswuchs. Auswuchsgetreide ist ungeeignet für die Herstellung von Brot und kann nur noch für Futterzwecke verwendet werden. Das Roggenkorn enthält wenig Klebereiweiss. Es sind hauptsächlich die Schleimstoffe im Teig, die das Gas, das bei der Gärung entsteht, zurückbehalten und dadurch den Teig aufgehen lassen. Roggen ist relativ schwer verdaulich, eine Sauerteigführung macht das Brot aromatischer und leichter verdaulich. Eine andere Möglichkeit, der Verdauung entgegen zu kommen, ist die Herstellung von Pumpernickel. Pumpernickel ist ein Roggenschrotbrot, das bei tieferen Temperaturen während 15-16 Stunden gebacken wird. Dabei karamellisiert die Stärke und entsteht der leicht süssliche Geschmack des Pumpernickels.
Literatur
Miedaner, Thomas (2014): Kulturpflanzen: Botanik — Geschichte — Perspektiven. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag. ISBN: 364255292-2
Schilperoord, Peer und Heistinger, Andrea 2011. Literaturstudie alpine Kulturpflanzen Vs. 5.0 130320. 277 S. www.berggetreide.ch/Archiv.html
Zohary, Daniel; Hopf, Maria; Weiss, Ehud (2012): Domestication of plants in the Old World. The origin and spread of domesticated plants in Southwest Asia, Europe, and the Mediterranean Basin. 4. Aufl. Oxford: Oxford University Press. ISBN: 978-0199549061